Vom »Grito de Dolores« zu Mexikos Unabhängigkeit

Miguel Hidalgo y Costilla ist zweifellos eine der schillerndsten Persönlichkeiten der mexikanischen Geschichte und einer der beliebtesten Nationalhelden Mexikos. Der weisshaarige Herr mit Halbglatze ist der Vater des mexikanischen Unabhängigkeitskampfes. Am 16. September 1810 ruft er in der Provinzstadt Dolores zum Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht – der berühmte »Grito de Dolores«. Miguel Hidalgo legt damit den Grundstein für die Unabhängigkeitsbewegung, die Mexiko schließlich 1821 zum souveränen Staat führte.

Kurze Biografie von Miguel Hidalgo y Costilla

Miguel Hidalgo y Costilla wurde 1753 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf im Bundesstaat Guanajuato auf. Er stammte aus einer kreolischen Familie, also Nachfahren spanischer Siedler, die über ein gewisses Einkommen verfügte, aber nicht dem Adel angehörte.

Seine Familie ermöglichte ihm eine solide Ausbildung, ein Privileg in der damaligen Kolonialgesellschaft. Im Alter von nur 12 Jahren wurde er an ein renommiertes Colegio in Morelia geschickt, wo er Theologie, Philosophie und klassische Sprachen studierte.

Im Jahr 1778 wurde Miguel Hidalgo zum Priester geweiht. Sein erster offizieller Einsatz war als Professor für Theologie am selben Colegio, an dem er selbst studiert hatte. Er stieg schnell auf, bis hin zum Rektor der Hochschule.

Doch Miguel Hidalgo war keineswegs ein typischer Pfarrer. Er war ein gebildeter Intellektueller, ein leidenschaftlicher Reformer und ein charismatischer Menschenfreund. Er beherrschte Spanisch, Französisch, Italienisch, Latein und sogar mehrere indigene Sprachen. Dazu vertrat er einen modernen, aufgeklärten Katholizismus. Sogar mindestens vier Kinder werden dem kirchlichen Freidenker nachgesagt.

Er scherte sich also wenig um die Weisungen seiner Vorgesetzten, was ihn naturgemäß nicht sonderlich beliebt machte. Seine unkonventionellen Ansichten, sein Interesse an Aufklärung, Sprachen und sozialen Reformen, sowie sein freier Lebensstil brachten ihn zunehmend in Konflikt mit den kirchlichen Autoritäten.

Vom verstoßenen Priester zum Rebellenführer

Um den rebellischen Priester loszuwerden, versetzten ihn seine Vorgesetzten von Morelia in das unbedeutende Städtchen Dolores (heutzutage Dolores Hidalgo) im Bundesstaat Guanajuato. Doch Miguel Hidalgo führte seine unkonventionelle und volksnahe Art Priester zu sein auch in Dolores fort, sogar noch konsequenter als zuvor. Die Versetzung in die ländliche Kleinstadt ermöglichte ihm seine Ideale mit der Bevölkerung zu leben. Hidalgo brachte nicht nur Wissen, sondern echte Zuwendung: Er richtete Werkstätten ein, in denen Mestizen und Indigene handwerkliche Fähigkeiten lernten und unterstützte die Armen gegen die damals herrschende Klassenungerechtigkeit.

Im Jahr 1810 brodelte es unter der Oberfläche des kolonialen Mexikos. Armut, Ungleichheit und Abhängigkeit von der spanischen Krone ließen den Wunsch nach Veränderung wachsen. In diesem Klima traf sich Miguel Hidalgo im Untergrund mit gebildeten Kreolen und unzufriedenen Offizieren. Diese geheimen Treffen tarnten sie als literarische Salons oder Kaffeekränzchen.

Gemeinsam bereiteten sie einen koordinierten Aufstand vor. Ziel war es, Anfang Oktober 1810 in mehreren Städten gleichzeitig gegen die spanischen Autoritäten vorzugehen. Die Verschwörer sammelten heimlich Waffen und rekrutierten immer mehr Unterstützer.

Priester Miguel Hidalgo Kampf Unabhängigkeit
Priester Miguel Hidalgo und der Kampf für die Unabhängigkeit Mexikos.

»Viva México« – Grito de Dolores

Plötzlich überstürzten sich die Ereignisse, der Plan wurde verraten und die Freiheitskämpfer waren gezwungen sofort zu handeln. Am 16. September 1810 versammelte Miguel Hidalgo mit stürmischem Glockengeläute seine Anhänger aus der Region von Dolores. Er rief lautstark zum Unabhängigkeitskampf auf.

Die genauen Worte sind nicht überliefert, Historiker gehen davon aus, dass Hidalgo folgende Ausrufe von sich gegeben haben könnte:

  • »Viva la Virgen de Guadalupe!« (Es lebe die Jungfrau von Guadalupe!)
  • »Muera el mal gobierno!« (Nieder mit der schlechten Regierung!)
  • »Viva México!« (Es lebe Mexiko!)

Somit wurde der vertriebene Gemeindepriester zum wild entschlossenen Rebellenführer.

Heute ist dieses wichtige geschichtliche Ereignis als »Grito de Dolores« bekannt und die Mexikaner feiern am 16. September den Nationalfeiertag und ihre Unabhängigkeit.

Kampf für die mexikanische Unabhängigkeit (1810–1811)

Tausende von Bauern, Arbeitern, Indigenen und Mestizen versammelten sich in Dolores und zogen dann los. Es war kein trainiertes Heer, sondern eine empörte Volksmasse. Bewaffnet mit Speeren, Stöcken und Macheten – viele ohne Waffen, aber voller Wut und Hoffnung. Bald schon scharten sich Zehntausende Menschen hinter dem charismatischen Priester.

Der Feldzug der Freiheitskämpfer gegen die spanischen Royalisten war anfänglich äußerst erfolgreich. Mehrer Städte und Dörfer konnten eingenommen werden. Schon Ende Oktober stand die Revolutionsarmee sogar vor Mexiko-Stadt und Miguel Hidalgo konnte seine Forderungen nachdrücklich vorbringen: Sturz der spanischen Eliten, Unabhängigkeit Mexikos, Reform des Landbesitzes und Abschaffung der Sklaverei.

Doch anstatt sofort in die Hauptstadt zu marschieren, zögerte Hidalgo, was sich im Nachhinein wohl als strategischer Fehler herausstellte. Bald reagierte die spanische Kolonialmacht mit aller Härte und fügte der Rebellenarmee eine verheerende Niederlage zu.

Nur wenige Monate nach dem Beginn des Freiheitskampfes wurde der rebellische Priester im März 1811 festgenommen und nach seiner Verurteilung wegen Hochverrats wurde Hidalgo hingerichtet. Doch die Idee eines unabhängigen Mexikos lebte weiter.

Unabhängigkeitsbewegung unter José Maria Morelos (1811–1815)

Nach Hidalgos Tod übernahm ein anderer Priester die Führung: José Maria Morelos, aus dem Süden Mexikos. Im Gegensatz zu Hidalgo setzte Morelos nicht auf ein großes Volksheer, sondern auf mobile, gut organisierte Guerillagruppen, die mit überraschenden Angriffen sehr effektiv waren. Auf seinen Feldzügen eroberte er Städte und Regionen in Oaxaca, Guerrero und Puebla. Dazu war er ein politischer Visionär, 1814 ließ er die erste Verfassung Mexikos verabschieden. Doch erlangte ihn das gleiche Schicksal wie Hidalgo. Er wurde 1815 gefangen genommen und hingerichtet.

Die dunklen Jahre, ein Krieg ohne Führung (1816–1820)

Nach der Hinrichtung von Morelos war die Bewegung zersplittert und ohne zentrale Führung. Viele Kämpfer zogen sich in die Berge oder den Süden zurück und führten nur noch vereinzelte Guerillaaktionen durch. Die spanische Kolonialmacht gewann in dieser Zeit an Boden und setzte auf harte Repression. Trotzdem gelang es den Aufständischen, die Idee der Freiheit am Leben zu erhalten, als stille, aber unaufhaltsame Kraft im Hintergrund.

Der politische Wandel (1820–1821)

Ein politischer Wandel in Spanien brachte eine überraschende Wende im Unabhängigkeitskampf. Eine liberale Revolution zwang König Ferdinand VII. eine Verfassung einzuführen. Dies beunruhigte viele konservative, aus Spanien stammende Eliten in Mexiko. Aus Angst vor Machtverlust begannen nun auch Kreolen und frühere Gegner der Unabhängigkeit, sich von Spanien abzuwenden.

Einer von ihnen war Agustin de Iturbide, ein königstreuer Offizier, der plötzlich die Seiten wechselte. Er vereinte konservative Royalisten mit den aufständischen Guerillagruppen unter Vicente Guerrero. Gemeinsam nutzten sie den Druck auf die verbliebenen spanischen Truppen, um Verhandlungen und den sogenannten Plan von Iguala durchzusetzen. Dies war ein politisches und militärisches Abkommen, welches Royalisten, Kreolen und Aufständische vereinte und einen geordneten Übergang zur Unabhängigkeit ermöglichte.

Somit kam es zu keinen weiteren militärischen Auseinandersetzungen. Nach über einem Jahrzehnt des Kampfes wurde der Traum von der Unabhängigkeit Mexikos endlich Wirklichkeit. Im Jahre 1821 anerkannte die spanische Krone die Souveränität des mexikanischen Staates.

Zu Ehren der Helden der Unabhängigkeitsbewegung erhielt der Bundesstaat Hidalgo im zentralen Hochland seinen Namen von Miguel Hidalgo y Costilla, der Bundesstaat Morelos südlich von Mexiko-Stadt von José Maria Morelos und der Bundesstaat Guerrero an der Pazifikküste von Vicente Guerrero.

Feier der mexikanischen Unabhängigkeit

Die offizielle Anerkennung Spaniens war historisch wichtig, doch wird nicht dieses Ereignis als Tag der Unabhängigkeit gefeiert. Stattdessen gilt der 16. September als Nationalfeiertag und als Unabhängigkeitstag Mexikos. Das Datum erinnert an Miguel Hidalgo, als er 1810 mit dem berühmten »Grito de Dolores« zum Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft rief. Es symbolisiert den mutigen Beginn des Unabhängigkeitskampfes und ehrt Miguel Hidalgo als »Vater der Unabhängigkeit«.

Jedes Jahr feiert Mexiko den Unabhängigkeitstag am 16. September mit farbenfrohen Festen und offiziellen Zeremonien. In Städten und Dörfern wird der »Grito de Dolores« nachgestellt. Straßenparaden und gemeinsames Feiern verwandeln den Tag in ein lebendiges Symbol mexikanischer Identität und zu einem stolzen Ausdruck von Patriotismus.

Viva Mexico am Nationalfeiertag
Viva Mexico am Nationalfeiertag und Unabhängigkeitstag.

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